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13. Juli 2024

Klarheit gewinnen

Klarheit und Wahrheit gleichzeitig?

Gibt es nicht!

So wie man einen «Kieselstein» und einen «Sonnenaufgang» nicht gleichzeitig betrachten kann.

Um «Klarheit» zu erlangen, müssen wir Unwichtiges aussortieren. Oder es in einem Experiment wegschließen. Erst dann wird eine Einzel-Wirkung deutlich: eine Formel, ein bestimmter kleiner Ausschnitt unserer Wirklichkeit. Klarheit im Vordergrund vor einer Realität im Hintergrund.

Klarheit entsteht beim Verstehen von Details in übergeordneten Zusammenhängen.

Erst das «Weglassen alles Überflüssigen» ermöglicht die klare Sicht auf einen Zusammenhang, hinter dem sich eine Gesetzmäßigkeit oder ein Prinzip verbirgt.

Sind Steine schwerer als Federn?

Eine Feder und ein Stein fallen unterschiedlich schnell zu Boden. Gleichzeitig losgelassen schlägt der Stein sofort, während die Feder langsam im Luftzug hin und herschwankend zu Boden sinkt.

Jahrtausende interessierte sich vermutlich niemand dafür, warum es so ist, wie die Natur sich eben zeigt. Was erfahrungsgemäß ereignet, geschieht eben.

Ein früher kritischer Denker, Anaximander fand (um 600 v.u.Z) heraus, dass unsere Sinne und unsere Vorstellungen von der Welt uns manchmal täuschen: Die Erde z. B. müsse nicht auf etwas fallen (wie damals viele glaubten), sondern könne genauso gut schweben. Anaximander war als vielleicht als erster Wissenschaftler an Klarheit interessiert. Ob er nach Wahrheit suchte, ist nicht bekannt.

Viele Jahrhunderte glaubte Aristoteles (384-322), dass unterschiedlich schweres verschieden schnell falle, weil es unterschiedliches Gewicht besitze. Das hielt man dann für „richtig“ und unterrichtete es in den Schulen. Damit war eine Wahrheit geboren. Sein „So ist es!“ war ein falscher Schluss von der Realität auf ein Prinzip.

Das galt, bis Galileo Galilei (1564-1642) am Ausgang des Mittelalters diese Wahrheit kritisch hinterfragte. Eintausend Jahre nach Anaximander wollte er nicht glauben, sondern etwas klar erkennen:

Er dachte sich in einem Gedanken-Experiment alles Störende (die Luft und ihre Bewegung) einfach weg. Auf rein theoretischem Wege gelangte er so zu der Ansicht, dass Feder und Stein «im Nichts» (Vakuum) gleich schnell fallen müssten.

Viele Jahre später wurde diese Behauptung tatsächlich durch einen physikalischen Versuch bestätigt. Durch Robert Boyle (1627-1691), der die Vakuumpumpe erfand. Isaac Newton (1643-1727) gelang es dann später, die grundlegenden Naturprinzipien mit einem Gravitationsgesetz zu beschreiben.

Aber auch der fromme Geistliche Newton hatte keine Wahrheit gefunden, wie er damals glaubte. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts wies Albert Einstein (1879-1955) nach, dass Gravitation eine Illusion sei, die etwas mit der Verkrümmung von Raum und Zeit zu tun habe. Seither sehen Physiker noch einmal wesentlicher klarer. Aber eine absolute Wahrheit fehlt ihnen weiterhin. Denn ihre Modelle der Quantenphysik und der Relativitätstheorie funktionieren für sich allein genommen zwar großartig, aber passen nicht richtig zusammen.

Die «mechanische» Übertragung der Theorie und der Beobachtung im Experiment auf die Realität ist aber offensichtlich falsch: Auch weiterhin fallen eine Feder und ein Stein nahe der Erde unterschiedlich schnell, und – wegen des Windes – meist unberechenbar.

Unsere Wahrnehmung erfordert Modelle – aber die Modelle sind nicht die Realität. Der Physiker Stephan Hawking (1942-2018) nannte diese Anschauung der Wirklichkeit: «modellbezogenen Realismus.»

Unklarheit im Nebel der Suche nach «Wahrheit»

Teile, Fakten, Wechselwirkungen, Erscheinungen, Beziehungen, Zufälle uva. Das, was erfahren und erlebt wird, muss in einem übergeordneten Zusammenhang begriffen werden.

Unter «Wahrheit» verstehen viele, die an «ihre Wahrheit» glauben, etwas anderes.

Gemeinsam ist den Wahrheitssuchenden vielleicht, dass «Wahrheit» etwas umreißen soll, was «in Wirklichkeit so ist oder so war». Also ein Bild eines Zusammenhangs, einer komplexen Realität, die verwoben ist und mit vielem wechselwirkt.

Das ideale Abbild eines Vorganges kann aber nur das Geschehen selbst sein. Alles andere ist zwangsläufig nur die Summe von Einzelinformationen, Glaubenssätzen oder Formeln. Jede «Wahrheit» ist solch ein schwaches Meinungsbild der Wirklichkeit.

Im Vergleich zur Realität bleiben Modelle, die eine Wirklichkeit widerspiegeln sollen, ziemlich einfach. Selbst dann, wenn sie so kompliziert erscheinen wie Quantenphysik. Das, was dort als Wirklichkeit beschrieben wird, ist letztlich nur die Summe von Einzelaspekten einer dynamischen Beziehungsvielfalt von Teilchen, Wellen und Wirkkräften, die wir in unserem winzigen Teil des Universums zu überblicken glauben.

Wenn wir etwas «wahr» nennen, erzählen wir uns oder anderen von Erfahrungen der Wirklichkeit, die wir erlebt zu haben glauben. Wir können nicht wissen, was wirklich «wahr» ist. Also die gesamte Realität umfasst, einschließlich dessen, zu dem wir mit unseren Sinnen und Messapparaten keinen Zugang haben.

Aber wir können «Alles», was wir erleben, bestaunen. Und es in seiner Vielfalt und Schönheit bewundern und genießen. Wir können die Realität, wie sie sich vor uns und in uns entfaltete, akzeptieren und sie vielleicht auch beeinflussen.

Manchmal ist es dabei nötig, Einzelnes zu betrachten. Dann benötigen den Blick auf ein Detail. Um davon aufschauend Beziehungen und Zusammenhänge zu erfahren, in denen das Einzelne eingebettet ist. Am besten abwechselnd.

Jedes Detail ist für ein Ganzes wichtig.

Aber das Ganze ist weit mehr als die Summe aller Details.

Ein Gewirr von Vogelstimmen an einem ruhigen Frühlingsabend ist einfach schön. Ein harmonischer Gesamtzusammenhang ohne Begriff. Möchte man dann erkennen, ob da eine Stimme einer Amsel oder einer Nachtigall zu hören ist, oder ein Rotkehlchen, kann man in einem Buch nachschlagen. Um dann wieder den Gesamtzusammenhang – um eine Information bereichert – zu genießen.

Die Fähigkeit, Details klarer unterschieden zu können, verschafft uns eine andere Qualität der Wahrnehmung, die den Genuss des Zuhörens verstärken kann.

Zuerst der Überblick, dann das Detail

Grundtechniken, um «Klarheit» zu gewinnen: Verstehen (Erleben mit Erfahrung verbinden), Klären (Das Prinzip erkennen), Handeln (Erkennen durch Begreifen), andere handeln lassen (Vertrauen), Nicht -Handeln (Annehmen, es geschehen lassen), kreativ sein (schöpferisch Neuss schaffen)

Details scheinen objektivierbar zu sein, d.h. sie können als Begriffsbeschreibungen in „Schachteln“ abgelegt werden. Um aber etwas zu verstehen, muss die Fülle der Detail (die in Begriffsschachteln beschrieben wurden) in einem Zusammenhang erfahren und erlebt, d. h. mit persönlicher Erfahrung verknüpft werden. Alle Aha-Effekte der Wissenschaft entspringen bei genauer Betrachtung einem ganz persönlichen Prozess der Wissensaneignung, der abstrakte Sinnes-Information mit persönlichem Erleben verbindet.

Manchmal entsteht dann für Sekundenbruchteile ein Erleben, bei dem schlagartig eine uneingeschränkte Wahrnehmung von allem, mit allen Details und Wechselwirkungen, mit dem eigenen Selbst verbunden scheint.

Solche beglückenden Augenblicke, in denen die Klarheit der Sicht mit einem begriff-losen Erleben von Allem zu verschmelzen scheint, nennen Japaner Satori 悟, wörtlich „Verstehen“. Die deutsche Übersetzung „Erleuchtung“ klingt religiös-esoterisch-theatralisch, während das englisch-rationale Wort „enlightenment“ (für das Gleiche) dem näher kommt, was gemeint ist: ein ganz besonderes, alle inneren Aspekte einbeziehendes, sehr persönliches Erleben der Einheit und Harmonie innerer und äußerer Wechselwirkungen.

Schlagartige und subjektive Ereignisse neuer Wahrnehmung folgen oft einer endlosen Suche nach Einzelinformationen. Manchmal geht ihnen Verzweiflung voraus. Das erzwingt, eine Situation so, wie sie eben ist, anzunehmen.

Manchmal ereignet sich „ein Donnerschlag aus blauem, klarem Himmel“ (Wumen). Oder man erwacht (wie Kekulé) aus einem Traum.

Relative „Wahrheit“

Wahrheit ist ein Modell. Eine Möglichkeit, wie etwas sein könnte. Eine Annahme, die sich in der Praxis bewährt hat.

Die Physiker Hawkins und Mlodinow nannten die wissenschaftliche Methode „modellabhängigen Realismus“. Es sei nützlich, unsere Weltsicht auf Vorstellungen zu gründen, deren Vorhersagen sich immer wieder als korrekt erwiesen haben. Und die deshalb „Naturgesetze“ genannt werden. Sie existieren aber nur in unserer Interpretation im eng begrenzten Bereich dessen, was wir zu erkennen glauben. Sie seinen sehr „praktisch“, aber nicht „wahr“.

Trenn-scharfe „Klarheit“ verhilft dazu, einen Teilzusammenhang zu untersuchen und (mit Händen) zu begreifen.

Das klar Erkannte ist dann immer sehr viel weniger als ein Ganzes. Der Physiker Erwin Schrödinger hielt es für falsch, die naturwissenschaftliche Datenanalyse und die philosophische Betrachtung von Gesamtzusammenhängen zu trennen. Denn alles Expertenwissen ergebe nur so viel, wie es als Puzzleteil in einen größeren Kontext passe.

Beide Sichtweisen auf die Realität („Klarheit“ und „Wahrheit“) sollten sich abwechseln.

Dann steht zwischen beiden die Pause: Verweilen steht im Vordergrund. Das sich umschauen. Und dann wieder das neugierige Erkunden:

Wohnen ohne Wandern ist unbeweglich,
Wandern ohne Wohnen voller Unruhe. Ute Guzzoni

Web-Site

klarheit-gewinnen.de (Helmut Jäger, Eva Hampel), online von 2006 bis 2023

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Letzte Aktualisierung: 14.07.2024