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Ethik im Kapitalismus

Aufstieg und Niedergang der Gier

Das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung besitzt fünfundvierzig Prozent des globalen Vermögens. Die ärmere Hälfte der Welt kommt auf ein Prozent (afp 01.07.2024).

Die Reichen überschwemmen den Süden mit Müll und rauben die Rohstoffe für die Wertschöpfung in ihren Ländern.

Psalm 58 (Vers 1,2, 4) Heinrich Schütz 1585-1672: „Wie nun, ihr Herren, seid ihr stumm,
dass ihr kein Recht könnt sprechen? Was gleich und grad ist, macht ihr krumm, helft niemand zu sein Rechten? Mutwillig übt ihr Gwalt im Land, nur Frevel geht durch eure Hand, was will zuletzt draus werden? .. Noten: Ernst Bloch Chor Tübingen

Begonnen hat dieses Elend mit der Gier nach Reichtum, Macht und Land. Seit tausenden Jahren werden Soldaten für Raubzüge mobilisiert: durch Ideologien, die Todes-Angst auslösen und Jenseits-Hoffnungen verbreiten. Die in die Kriege Gehetzten sterben dann für Gott. Und nicht etwa für das parasitäre „Mehr-haben-wollen“ kleiner Eliten. (Mausfeld 2024)

Wenn die religiöse Lenkung der Armen (gegen deren eigene Interessen) an Wirkungskraft verlor, verlangten Fürsten nach professionellen Mördern. Diese Söldner töteten für Geld, das sich die Regierenden von reichen Waren-Händlern liehen. Einer von ihnen, der Augsburger Katholik Jacob Fugger, mauserte sich so im 15. Jahrhundert von einem traditionellen Kaufmann zum mächtigen Finanzierer globaler Unternehmungen.

Damals begann die christlichen „Rückeroberung“ (Reconquista) Spaniens und Portugals. Gefolgt von der feudalistisch geprägten Plünderung Lateinamerikas, der „Conquista“. Angesichts reicher Beuteschiffe entwickelte sich die Piraterie, die England perfektionierte. Als der religiöse Überbau des Feudalismus zerfiel (Steinmetz 1985) erfand der böhmische Kriegsunternehmer Wallenstein ein neues Geldbeschaffungssystem: die Raub-Besteuerung besetzter Gebiete. Oder alternativ, bei Weigerung oder Zahlungsunfähigkeit: die erbarmungslose Plünderung und Zerstörung. (Diwald 1969)

Der erste Finanzmarkt schließlich wurde im Rahmen der Amsterdamer Börse erschaffen. Sie begann um 1610 als klassische Warenbörse (‚Goederenboers‘). Dort wurden Waren angeboten, verkauft und vom Erlös neue Produkte oder Dienstleistungen erworben. Münzen u. ä. galten noch als Tauschmittel (und nicht als eigentliche Ware).

Schon ein Jahr später begann der Handel mit Wert- oder Anleihepapieren. Die Käufe und Verkäufe von „Effekten“ (engl. ’securities trading‘) bilden den Finanzmarkt, für den der reale Warenmarkt nur noch ein Mittel zum Zweck des Gelderwerbs darstellt.

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Elizabeth Thompson: Remnants of an Army.
William Brydon, einziger Überlebender der ‚Bengalischen Armee‘, vor Jalalabad. Alle anderen der englischen Besatzer starben: Das größte Desaster kapitalistischer Expansions-Gier im 19. Jh.

Die Art des Produktes oder der Leistung waren jetzt austauschbar geworden. Ob man mit Diamanten, Tulpenzwiebeln oder Sklaven handelte, war prinzipiell unerheblich geworden. Es war ab jetzt auch ohne Belang, ob Produkte oder Dienstleistungen tatsächlich Bedürfnisse befriedigten. Mode und Marketing sorgen dafür, dass Tulpenzwiebeln profitabler gehandelt wurden, als Grundnahrungsmittel. Produkte, Vieh, Menschen, Pflanzen oder Werke verlorenen an innewohnendem Wert. Von Interesse war nur, ob der Einsatz von Geld noch mehr Geld erzeugte.

Ab jetzt arbeiteten „nicht mehr Menschen“, sondern scheinbar die „Wertpapiere“. Das Schneeballsystem des Kapitalismus war geboren, wuchs und dehnte sich aus. Die Schneeball-ähnlichen-Systeme verlangen nach Steigerung des Bruttosozialproduktes, der Erschließung von Rohstoffquellen oder neuer Märkte durch steigende Aktienkurse etc. Denn ohne Wachstum zerplatzen sie wie Seifenblasen.

Ein Jahrhundert vor der industriellen Revolution wurden in Holland globale Handelsunternehmungen gegründet. Wenig später folgte in England, die besser bewaffnete, „Britische Ost-Indien-Company“, deren Erfolg auf Geldgier, Raub und Krieg beruhte. Die Kolonialunternehmen setzen ihre Geschäftsinteressen brutal durch: gegenüber den Einheimischen wie gegen die Konkurrenten. (Beispiel: Richardson 2021) Interessanterweise mussten sie oft gegen den Widerstand der katholischen, dem Feudalismus verbundenen, Kirche kämpfen. Deren Jesuiten-Orden sich gegen die protestantisch-calvinistische Ideologie des Kapitalismus zu erwehren versuchte, und z. B. in Indien dem Islam zu Hilfe eilte. (Keay 2014).

Die Militärs der frommen Kapitalisten sicherten weit entfernt liegende Handelsrouten und Stützpunkte. Sie stahlen Land und legten darauf Plantagen an. Bergwerke wurden errichtet, um Rohstoffe zu plündern. Und Natur und Menschen wurden gnadenlos ausgebeutet. Parallel förderte man die Besiedelung scheinbar „unbewohnter, leerer“ Landschaften durch „fromme, arbeitsame“ Pilger. Während die dann „jungfräulichen Boden“ bearbeiteten, der nun ihnen gehörte, vertrieben Soldaten die Menschen, die dort seit Jahrtausenden lebten, oder brachten sie um, oder versklavten oder missionierten sie, oder sperrten sie in Gettos ein.

Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie, nicht zu trennen.
Goethe, Faust. 2. Teil, 1832. 5. Akt, Mephistopheles

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Letzte Aktualisierung: 30.07.2024