18. Mai 2024

Keim-Theorie

Kriege gegen Pest und Cholera

Seit Ende des 19. Jahrhunderts kämpft die Medizin ‚gegen‘ etwas:

  • gegen äußere Angreifer
  • gegen Feinde, die uns hemmen oder bedrohen
  • gegen Viren, Bakterien, Pilze
  • gegen Krebszellen

Heute benennt Medizin das Böse, isoliert es und merzt es aus. Radikal, ohne Rücksicht auf Verluste, bis zum Sieg. Und sie verspricht, dann sei alles wieder so, wie vorher.

Seit sich vor 150 Jahren militärisches Denkens bei Ärzten und Pharmakonzernen durchgesetzt hat, haben Ruhe, Besonnenheit, Verstehen und lebensorientiertes Handeln in der modernen Medizin an Bedeutung verloren.

Freitag am 09.12.2021: Zitat: „Eine gesunde Welt ist möglich … Impfstoff global: Die Idee ist simpel und einfach: Wenn alle geschützt sind, ist die Pandemie vorbei“

Früher gab es mal das WHO-Motto ‚Gesundheit für alle‘ (Verhaltens- und Verhältnis-Prävention). Heute ist es „Medizinprodukte für alle“ – öffentlich finaziert und ohne Haftung.

Ganz anders in der Physik: Dort wurde Ende des 19. Jh. das mechanische Denken von Ursache und Wirkung abgelöst, durch ein Verstehen komplexer Wechselbeziehungen zahlloser Faktoren. Scharfe Trennungen (wie außen Böses und innen Gutes) sind der Naturwissenschaft seither fremd.

Die Geburt der Keimtheorie.

Vor zwei Jahrhunderten war es noch gefährlich, Ärzte aufzusuchen, wenn man gesund werden wollte. Selbst John Snow, der geniale Chirurg, der entdeckte, dass Cholera durch Trinkwasser übertragen wird, verschlimmerte den Zustand seiner Patient:innen mit Aderlässen. Obwohl die damalige Schulmedizin (der alten Säftelehre) bezüglich der neuen Krankheit Cholera nichts zu bieten hatte.

Die erste tatsächlich spezifisch-wirkende Behandlung erfand ein Kapitän (James Cook, 1776): Sauerkraut als Vorbeugung vor Vitamin-C-Mangel (Skorbut). Das sei ihm aber erst gelungen, nachdem er „zuvor streng alle Ärzte von Bord gewiesen“ habe.

Auch die „Dame mit der Lampe (Florence Nightingale)“ war (selbst bei der Cholera) erfolgreich, weil sie ärztliche Eingriffe in ihren Pflegeeinrichtungen untersagte. Stattdessen ließ sie ihre Patient:innen (nicht-spezifisch wirksam) pflegen und betreuen.

1852 entwickelte der Arzt Rudolf Virchow nach der Beobachtung einer Typhus-Epidemie die „Sozialhygiene“: Es seien mangelnde „Bildung, Wohlstand und Freiheit“, die die Entstehung von Krankheit begünstigten. Es sei Aufgabe der Ärzte, Störungen zu erkennen, und Aufgabe der Politiker, für geordnete, gesunde Verhältnisse zu sorgen.

Weil ihm aber auch die „Umwelthygiene“ wichtig war, setzte sich Virchow in Berlin für eine sichere Trinkwasserversorgung ein, und für eine Kanalisation zur Ableitung des Schmutzwassers. Wie sein Kollege Max von Pettenkofer in München glaubte an die Gefahren krank machender Gift-Stoffe und deren Fernwirkungen (Morabia 2007)

Die Idee der Krankheitsentstehung durch tote Umweltgifte formulierte als erster der Grieche Galenos (129–201 n.u.Z.). Erweitert wurde die Theorie von Fracastorius (1478–1553) in Verona. Genial bestätigen konnte sie 1696 der „Ulmer Stadtphysikus“ Eberhard Gockel, dem es gelang, das Krankheitsbild des „Bauchgrimmen“ zu erklären. (Eisinger 1982)

Ein anderes bedeutendes Risiko für Krankheitsentstehung erkannte 1795 der englische Arzt Alexander Gordon: medizinische Interventionen. (Gould 2010, Dunn 1998) Aber erst 1847 wurde die ‚Händewaschung‘ mit Chlorkalklösung von Ignaz Semmelweis in der Gebärabteilung im AKH Wien eingeführt, gegen großen Widerstand (Goddemeier 2011)

„Bazillen“ wurden erst 1850 von dem Chemiker Antoine Béchamp entdeckt. Er beobachtete beim Mikroskopieren, dass seine Labor-Pflanzen dann anfällig waren für „Besiedlungen“ mit Mikro-Tierchen, wenn er sie vernachlässigt oder gestört hatte. Wenn sie z.B. an Licht-, Wasser oder Nahrungsmangel litten. Daraus schloss er, dass „Bazillen“ friedlich im Inneren gesunder Organismen lebten, und sich erst (nach außen sichtbar) infolge einer tieferen Krankheitsursache vermehrten.

Im Prinzip seien die Miniwesen harmlose oder sogar nützliche Mitbewohner gesunder Lebewesen (so wie wir heute das Mikrobiom und die Mitochondrien beschreiben).

Bernhard-Nocht (der 4. von rechts) in Ostafrika, im Kreise von Offizieren, die gleichermaßen (im Großen) Auständische und (im Kleinen) Seuchen bekämpfen wollten. Bild: abfotographiert im BNI, Original Anfang des 20. Jh.

Erst sein jüngerer Kollege Louis Pasteur verwandelte Béchamp’s „Symbionten“ in Terroristen (Hume 1932), und erschuf damit die Keimtheorie. In Deutschland wurde sie begeistert aufgenommen, u.a. von Robert Koch (Hontschik 2022), Jacob Henle, und Paul Ehrlich, der das Böse zielgenau mit „Zauberkugeln“ wegbomben wollte. Im Zeitalter des Imperialismus war das eine geniale Idee, die Politikern und Kolonialoffizieren sofort einleuchtete.

Infektionen, wie Tuberkulose, seien nicht etwa die Folge des Elends, in dem die Menschen der frühen industriellen Revolution lebten. Sondern die Ursache, die man ausrotten könne, ohne am Elend und der Ausbeutung etwas zu ändern.

Im Großen (bei Revolten) und im Kleinen (bei Infektionen) konnte man jetzt gemäß gleicher Gesetzmäßigkeiten handeln: Gegner erkennen, benennen, isolieren, bekämpfen, vernichten, ausmerzen.

Und so kämpft die Medizin bis heute mit immer besseren Waffensystemen gegen Viren, Bakterien und gegen den Krebs. (Gøtzsche 2023) Das einfache Erklärungsmuster der Keim-Theoretiker von „Gut und Böse“ entspricht offenbar bis heute dem kriegerischen Zeitgeist.

„Lasst uns etwas ausrotten!“

Die imperiale Kriegsmedizin wurde in den Tropen geboren. Denn dort, an den Eingeborenen, konnten die Waffensysteme getestet werden: die ersten Medikamente, die in Europa nur in Tierversuchen ausprobiert werden konnten.

Die Wortwahl der frühen Infektiologen entsprach Kriegsrhetorik. Der Amerikaner William Gorgas, einer der ersten großen Public-Health-Offiziere wollte eine Mücke ausrotten. Der Deutsche Robert Koch sah die Erträge der Plantagen durch die Schlafkrankheit bedroht.

Soziale, ökonomische oder psychologische Zusammenhänge für ein friedliches Miteinander in gedeihlichen Ökosystemen interessierte beide nicht. Ebenso wenig Menschenrechte oder nicht infektiöse Leiden, die sich durch Lebensumstände, Kriege oder Umweltzerstörung verschlimmerten.

Sklaven-Medizin

Jim Downs : “Maladies of Empire: How Colonialism, Slavery, and War Transformed Medicine” Harvard Univ Press, 2021.

In imperialen Eroberungskriegen mussten Feinde erkannt, isoliert, bekämpft und vernichtet werden. Mediziner kämpften, Seite an Seite mit den Kolonial-Offizieren, an einer anderen Front: gegen die Seuchen. Denn die bedrohten, wie die Schlafkrankheit, die Erträge aus den Kolonien. Die Entscheidungsträger der industriellen Revolution hatten kein Interesse an der Thematisierung von Umweltproblemen oder sozialen Zusammenhängen.

Ihre Militärärzte sollten Tuberkulose und Lepra bekämpften, und nicht nach den Hintergründen von Armuts-Erkrankungen forschen.

Inspiriert von diesem medizinischen Bekämpfungsgeist sammelten und testeten Ende des 19. Jahrhunderts Ärzte in den amerikanischen Südstaaten Pocken-Material an versklavten Säuglingen und Kindern:

„… Southern doctors tested smallpox vaccines and harvested that material within enslaved infants and children during the Civil War. …“ Jim Downs, (Medizinhistoriker) 2021

The Lomidine Files

In französischen Kolonien versuchte man in den 1950er-Jahren, die Schlafkrankheit auszurotten. Dabei setzte man große Hoffnungen auf ein neues Medikament: Lomidine oder Pentamidin.

G. Lachenal: The Lomidine Files 2016

Lomidine/Pentamidin wurde im Rahmen von Massenkampagnen zwangsweise gespritzt. Der Nutzen war allerdings gering. Dafür erkrankten viele Patient:innen an diesem „kleinen Pieks“. Andere verstarben an den Krankheitsfolgen. Erst 1957 wurden diese Menschenversuche eingestellt. Anschließend tat man alles, um die angerichteten Schäden zu vertuschen. (Lachenal 2014) Das Misstrauen der Bevölkerung blieb (Lowes 2018).

Eine folgenreiche Verseuchung mit Hepatitis C fand in Ägypten statt. Dort begann man vor über sechzig Jahren damit, die Pärchenegel-Wurmerkrankung zu bekämpfen, deren Inzidenz zunahm, als 1964 der schnell fließende Nil durch den Assuan-Staudamm gezähmt wurde. Das Gesundheitsministerium ließ große Teile der Bevölkerung mit Injektionen behandeln, die Antimon-Kalium-Tartrat enthielten.

Diese giftige Antimon-Verbindung, die damals für das einzig wirksame Mittel gegen die Würmer gehalten wurde, wird heute selbst in der Tiermedizin nicht mehr verwandt. Erst ab 1980 wurde sie, auch in Ägypten, langsam durch ein nebenwirkungsärmeres (aber relativ teures) Medikament ersetzt. Einige Jahrzehnte nach dem Beginn der Kampagne fiel in Ägypten eine Epidemie von Hepatitis C auf, für die es zunächst keine Erklärung zu geben schien. Dann stellte sich aber heraus, dass die meisten der an Hepatitis C Erkrankten Anti-Wurm-Spritzen erhalten hatten.

Es hat manchmal auch rationale Gründe, warum viele Menschen in ökonomisch und sozial schwachen Ländern Präventionsmaßnahmen aus dem Weg zu gehen versuchen.

Robert Koch

Robert Koch einer der Väter der „Keimtheorie“ genannten Kriegsmedizin, schrieb, in Afrika ‚liege das Gold der Wissenschaft auf der Straße‘. Denn dort konnte er mit den dort ‚Einheimischen‘ ungehindert von moralischen Überlegungen forschen, wie er wollte. (Hontschick 2022)

Z. B. mit der Anwendung mit Atoxyl, einem Medikament, von dem dem er glaubte, dass es zur Bekämpfung der Schlafkrankheit nützlich sei. Es erwies sich als unnütz, führte aber schweren Erkrankungen und Todesfällen:

William Gorgas

William Gorgas gelang es in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, zuerst Havanna und dann auch die Panama-Kanalzone von Gelbfieber zu befreien. Seine Gegner waren die Aedesmücken. Gegenüber den Lebensbedingungen, dem Wohlergehen und der Bürgerrechte der Menschen, in deren Umwelt die Mücke brütete, waren ihm vollkommen gleichgültig. Militärisch planend, rücksichtslos und mit brachialer Gewalt sanierte er Elendsquartiere, versprüht Tonnen von Kerosin und setzte Zwangs- und Quarantänemaßnahmen durch.

Mit dieser Strategie war er sehr erfolgreich: Die Gelbfiebererkrankungen wurden tatsächlich verdrängt. (Packard 2016) Allerdings lebten die Menschen anschließend weder besser noch gesünder. Aber immerhin verstarben sie nicht mehr an Gelbfieberviren.

Sehr lange hielten die Erfolge nicht an. Denn die Aedesmücken konnten sich im Rahmen der Verstädterung weltweit immer weiter verbreiten, und sie übertragen heute  u.v.a. Dengue- und Zikaviren. Gelbfieberviren kommen nur deshalb nicht mehr so häufig vor, weil sie aus tierischen Reservoirs in Regenwaldgebieten stammen, die werden immer weiter abgeholzt.

Schädlinge ausrotten, um die Produktion zu steigern

DDT

Als das Pestizid DDT erfunden wurde, glaubte man endlich die Malaria-Seuche vernichten zu können. Die Weltgesundheitsorganisation erklärte sie zu ihrem Hauptgegner und ließ weltweit viele Tonnen des neuen Giftes versprühen.

1992 erschien dann das Buch von Rachel Carson „Der stumme Frühling“ der die katastrophalen Schäden nach Massensprühaktionen beschrieb. Weil DDT auch die Populationen des amerikanischen Wappentieres bedrohte, erschraken selbst Politiker und Geschäftsleute. Tatsächlich wurde die DDT Produktion weltweit reduziert. Inzwischen ist DDT von der WHO aber längst wieder zur „Malaria-Bekämpfung zugelassen.

Bei der DDT-Katastrophe erscheine ihm eine Lehre besonders wichtig zu sein: „Es gibt keine Allzweckwaffe, wenn es um die Schädlingsbekämpfung geht.“ (DDT & Silent Spring 50 years later. 2021) Nur diese Lehre wurde schnell verdrängt, den DDT ist leicht herzustellen und konkurrenzlos billig.

Aber such deshalb, weil immer neue noch wirksame Waffensystem gegen Kleinlebewesen erfunden wurden:

Chlordécone in Guadeloupe

Auf den französischen Antillen wurde Chlordécone, eine organische Chlorverbindung, versprüht. Sie weist östrogenartige Eigenschaften auf und wird biologisch nicht oder kaum abgebaut. Zwischen 1981 bis 1993 wurde Chlordécone (gemeinsam mit der toxischen Ammoniumverbindung Paraquat) in großen Mengen eingesetzt, um einen Bananenschädling zu bekämpfen, obwohl seit 1979 bekannt war, dass Chlordecone Krebs auslösen kann. Für das französische Festland wurde deshalb 1990 der Chlordécone-Gebrauch verboten. Erst zwei Jahre später auch auf den Inseln, wo es aber weiterhin lange Zeit illegal weiter genutzt wurde. 1999 wurde erstmals über eine hundertfach über dem oberen Grenzwert liegende Konzentrationen von Chlordecone im Grundwasser berichtet. Bei Untersuchungen im Jahr 2005 wies 99% des Trinkwassers hohe Schadstoffkonzentrationen auf. Chlordécone gelangt (oder abgebaut zu werden) in die Nahrungskette, findet sich heute  in hohen Konzentrationen in Gemüse und Nutztieren. Der ökologische Schaden ist unumkehrbar: Die Halbwertzeit von Chlordécone beträgt 60-100 Jahre. (BEH 2011)

In den kontaminierten Regionen leben etwa 80.000 Personen und 13.000 von ihnen führen sich über Nahrung und Wasser über 0,5 µg/kg/Tag zu. (Franceinfo 19.12.2017)

„Öffentliche Gesundheit“: Die Geschichte der Interventionen in das Leben anderer Leute. Autor: Radall M. Packard

„The social construct of ‘Global Health’ is a direct descendent of tropical medicine and colonial impositions, and therefore, practitioners and governments must acknowledge the deeply racist roots of the field and how these impact the implementation of healthcare measures and how they are received.“ Melissa Grayboyes et. al.: „Histories of Global Health in Africa,“ Health & Place 77 (2022), 102863.

Chlordecone wirkt schädlich auf Leber- und Nierenzellen, es hemmt die Spermaproduktion und führt zu Schwangerschaftskomplikationen und beeinflusst die Entwicklung der Ungeborenen. Die Substanz bindet u. a. in der Prostata an einen Rezeptor für Östrogene, über den verstärktes Zellwachstum und eventuell auch Malignität vermittelt wird. Ein Zusammenhang zwischen Schadstoffbelastungen und den im Vergleich zu anderen Ländern hohen Raten an Prostatakarzinomen auf den Antilleninseln wurde spätestens seit 2007 vermutet und in einer Studie untersucht. 40 % der Proben von Milch stillender Mütter in den betroffenen Regionen sind mit Chlordécone belastet, was bereits zu messbaren Folgen führt (Saunders 2014). Das umgebende Meer sorgt bei den Inseln dafür, alle Störwirkungen von außen abgeschirmt und die Schadstoffbelastung über Generationen gleich bleiben wird (HAL 2017, Nedellec 2016)

Public Health

Vor vierzig Jahren glaubten engagierte Ärztinnen und Ärzte, sie könnten die weltweiten Gesundheitsprobleme durch ein verbessertes Gesundheitssystem günstig beeinflussen. Polio war damals, wie Cholera, Krieg oder Hunger, nur ein Problem unter vielen anderen. Man war sich sicher, allen Menschen wirksame Behandlungen in sehr einfacher Form zugänglich machen zu können. Diese Idee eines „Basis-Gesundheitswesens“ (Primary Health Care) löste weltweit eine Aufbruchsstimmung aus, die viele engagierte junge Menschen mit sich riss. U. a. auch mich.

Wir waren damals überzeugt, die Welt zu verändern. Ich zog als begeisterter Gastarbeiter nach Tansania, weil sich dessen Regierung der PHC-Idee ganz verschrieben zu haben schien. Primary Health Care galt als offizielle Politik der internationalen Organisationen (Deklaration von Alma Ata 1978). Ein Jahrzehnt später wurde das Konzept dann noch erweitert um Empfehlungen zur Verhaltens- und Verhältnis-Prävention (Ottawa Charta 1986 zur Gesundheitsförderung).

Wenige Jahrzehnte später fiel die Überprüfung unserer Arbeit in den sogenannten „Gesundheits-Distrikten“ ernüchternd aus: Zwar hatten die Gesundheitsprodukte („Die Pillen“) tatsächlich die letzten Winkel der Erde erreicht. Jeder Dorf-Krämerladen, der Tabak, Toilettenpapier und Dosenfleisch verkauft, verhökert heute auch Antibiotika, Psychopharmaka und Schmerzmittel.

Gesundheit hängt aber nicht von (oft zweifelhaften) Produkten des Gesundheitsmarktes, sondern in erster Linie von sozialen Faktoren ab (Dolin 1997).

Solche Zusammenhänge waren für Personen, die über die Mittel entscheiden, zu komplex. Die Primary Health Care Programme hatten gezeigt, dass eigentlich nachhaltig-gesunde Regional-Entwicklungen zur Verbesserung der Lebensqualität aller Bereiche der Gesellschaft nötig wären, inklusive Ernährung, Bildung, Frauenförderung, sozialem Frieden, Gerechtigkeit, Kultur und Ökonomie. Das aber war nicht umsetzbar. Es wäre zu teuer geworden, hätte Integration und Koordination vieler Interventionsansätze erfordert, und es hätte vor allem nicht zu kurzfristige messbaren Resultaten geführt.

Im engen Horizont der Politik und der Marktinteressen waren und sind langfristige Ziele zur Verbesserung der Lebensqualität nicht „sexy“. Erfolge müssen während einer Amtsperiode erkennbar sein und sich in Bilanzen belegen lassen. Und die Wahrnehmung ganzer sozialer Systeme in ihrer Dynamik überfordert die meisten, die sich damit beschäftigen müssten.

Diejenigen, die über die Mittel verfügen, benötigen stattdessen kleinere Probleme, die mit einer klaren Intervention in einem sehr engen Zeitraum abrechenbar erreicht werden können.

Das Ende von Primary Health Care war nach nur wenigen Jahren absehbar. Im Rahmen ökonomischer Sanierungsprogramme wurde der teure Personalüberhang in staatlichen Gesundheitseinrichtungen abgebaut und das Wachstum der Medizin als Marktwirtschaft begünstigt. Der öffentliche Bereich konzentriert sich seit Ende des letzten Jahrhunderts auf Einzelziele zur Beseitigung bestimmter Krankheiten, die sich aus taktischen Gründen anbieten, und die gegenüber den Geber-Zentralen in Berichten, Statistiken und Dokumenten abgerechnet werden konnten.

Der Basisgesundheit folgte die Ausrottung

Nachdem alle Bemühungen, die Malaria durch intensiven Einsatz von DDT und anderen Pestiziden auszurotten, gescheitert waren, verlegte man sich nicht etwa auf die Verfolgung nachweislich erfolgreicher gemeinde- und behandlungs-bezogene Konzepte, wie 1941 in Tennessee (USA), sondern suchte sich ein anderes Ausrottungsziel: die Pocken.

Dieses Virus wird ohne Zwischenwirt von Mensch-zu-Mensch übertragen. Daher war seine „Vernichtung“ durch eine Impfung und Isolations-Maßnahmen von Kranken realistisch (Pocken-Eradication). Heute „lebt“ das Pockenvirus nur noch tiefgekühlt in einigen Militärlaboren.

Seither knüpfen alle sogenannten Eradikations-Programme an dem Erfolg der Pockenausrottung (1966-1986) an.

Komplexe Bekämpfungsstrategien (u.a. gegen Malaria) wurden vorübergehend weniger intensiv verfolgt, die Überträgermücken zogen sich aber aus anderen Gründen (Verstädterung, Umweltverschmutzung, Abholzung) immer mehr zurück. Die Blut-Parasiten entwickelten aber immer häufiger Resistenzen gegen die gegen sie eingesetzten Kriegsmittel (weiterhin DDT und andere Pestizide) und gegen Chemotherapeutika. Deshalb wird bis heute immer wieder nach neuen Waffen und militärischen Kriegszügen gerufen. Was oft kurzfristig sehr erfolgreich war, besonders wenn man ein relativ begrenztes Ziel, dass es möglich ist, ein relativ kleines Ausrottungsziel auswählte (wie den Guinea-Wurm in Westafrika).

Allerdings zeigte eine Untersuchung eines Ausrottungsprogramms bei einer relativ einfach eingrenzbaren Infektionskrankheit (Trachom), dass diese auch in einer Nachbarprovinz ohne Interventionsprogramm verschwand, weil sich in beiden Provinzen die allgemeinen Lebensbedingungen verbessert hatten (Dolin 1997)

Die amerikanischen und europäischen Entwicklungsprogramme (während der Präsidentschaft von Bill Clinton) beglückten Afrika, Asien und Lateinamerika mit massiven Familienplanungsprogrammen, bei dem vorwiegend lang wirkende Produkte wie u.a Depo-Provera DMPA zum Einsatz kamen, die die Frauen selbst nicht kontrollieren konnten, und die ggf. zu ernsten Nebenwirkungen führten.

Diese sogenannten vertikalen Programme, die Keime, Armut oder Bevölkerungswachstum bekämpfen sollten) hatten und haben einen wertvollen indirekten Effekt: jemand muss die Mittel (die Munition) der Eradikation herstellen (die Pharmaprodukte), und das sichert Arbeitsplätze in den Geberländern. Diese Logik deckte sich insbesondere mit den Interessen privater, wirtschaftlich orientierter Geber wie „Bill & Milinda Gates“, die heute einen großen Teil der Mittel für weltweite Gesundheitsprogramme vergeben. Die Basis-Gesundheitshelfer wurden umgeschult zu Teams, die durch die Dörfer zogen und impften.

Nach der anfänglichen Euphorie über den Erfolg der Ausrottung der Pocken, folgten mit den Lepra- und Tuberkulose-Eradikation-Versuchen die ersten Ernüchterungen. Solche Bakterien waren, wie viele andere auch, nicht ausrottbar, und Neuerkrankungen gibt es immer wieder. Ob und wie häufig hängt vorwiegend von sozialen Faktoren ab, und die Frage der frühen Behandlung hat, wie schon in den alten PHC-Zeiten bekannt war, etwas mit Bildung, Frauenrechten, Ernährung und vielem anderen zu tun.

Lepra und Tuberkulose sind Probleme, bei denen ein funktionierendes Distrikt-Gesundheitswesen mitwirken muss, die es aber allein niemals in den Griff bekommen kann. Das gilt auch für so tödliche Infektionserkrankungen wie Ebola.

Werden die Gesundheitssysteme kaum noch gefördert, und nicht mehr kontrolliert, bröckelten sie vor sich hin. Es wird dann still um die Ausrottung „schwieriger Seuchen“, wie u.v.a. der Schlafkrankheit. Denn, wo keine kurzfristigen Erfolge oder ökonomische Vorteile winken, schmelzen erfahrungsgemäß die Budgetposten ab.

Man konzentrierte sich bei der WHO stattdessen lieber mit aller Kraft auf die Polioausrottung, weil hier ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung stand. Diese Infektion sollte bis spätestens 2005 endgültig beseitigt sein. Aber es klappt nicht.

Haben wir aus Kriegs-Katastrophen gelernt?

Eher nicht.

Eradikations-Programmen wurden (und werden bis heute) nicht im Rahmen regionaler Zusammenhänge gesehen. (Habib 2017, Beispiel Tansania). immer wieder neu steht jeweils nur ein Faktor im Fokus der Kriegsmedizin, bis er zerstört wurde.

Die sehr begrenzte Wirkung dieses Vorgehens ist bei der Cholera gut untersucht. Deren Ausbruchsbekämpfung in Hamburg brachte den Keimtheoretiker Robert Koch und Bernhard Nocht schlagartig Berühmtheit ein. Eingedämmt wurde der Ausbruch aber durch Maßnahmen der Sozial und Umwelthygiene, von denen die Berliner und Münchner Ärzte Rudof Virchow und Max von Pettenkofer mehr verstanden. Die Kriegsmedizin hatte damals gegen Cholera nichts zu bieten.

Auch die später erfundenen Waffen-Systeme verschlimmerten die Krankheitsverläufe nur. Bekämpfte man Cholera mit modernsten Antibiotika, zerfielen die Bakterien und setzten dabei die Giftstoffe frei, die die Krankheit verursachen. Impft man, glauben arme Menschen geschützt zu sein (was nur manchmal zutrifft), trinken weiter Abwasser und erleiden dann andere schwere Formen von Durchfallerkrankungen, wenn man das gleiche Abwasser trinkt. Überzieht man das Land Brunnen geringer Tiefe, entwickelt sich nach Jahrzehnten ein um ein Vielfaches größeres Problem (Beispiel: Bangladesch u.a.). Keine Kriegsmethode erwies sich bei Cholera als erfolgreich. Im Gegensatz zu friedvollen Entwicklungen, die die allgemeinen Lebensumstände verbesserten.

Ein anderes Beispiel für die Irrationalität der Bekämpfung eines einzelnen Faktors innerhalb eines Ökosystems ist die „Grippe“. Verursacht wird dieses Krankheitsbild durch ein Gemisch verschiedener Viren und Keimen, die (jeweils unterschiedlich zusammengesetzt) in der Atemluft herumschwirren.

Wer

  • vor 2020 daraufhin verwies, dass die „Grippeimpfung“ (wenn überhaupt) nur vor Influenzaviren schütze, und Influenza- neben Coronaviren-Viren u.v.a. nur 15 % aller Grippeviren ausmache, galt als Impfgegner. Denn er störte das Geschäft mit der „Grippeimpfung“.
  • aber zwischen 2020 und 22 wagte, zu erwähnen, dass auch Influenzaviren (u.v.a.) gefährlich seien, und sogar Todesfälle verursachen könnten, galt Querdenker oder Schwurbler. Denn jetzt war es wichtig, gebannt auf politisch aufgeblasene Corona-Meldezahlen zu starren.

Manchmal gelingt es aber tatsächlich in den medizinischen Kriegen (gegen etwas) einen Schädling zu vernichten. Dabei wird dann aber oft im Ökosystem der unendlich vielen Keime eine neue Mikrobe selektioniert, die sich dann weiterentwickeln kann und wird (Antibiotikaresistenz).

Folglich müssten wir, statt nur immer neue Symptome zu bekämpfen, radikal neu denken. Krankheit und Gesundheit sind die Ergebnisse vielgestaltiger Wechselwirkungen lebender Systeme. Sie haben immer viele Ursachen und Einflussfaktoren.

Immer mehr Menschen leben heute in Kriegs- und Krisengebieten oder/und in absoluter Armut. Epidemien von Infektionserregern, die sich über das Wasser, über Moskitos, durch die Umwelt oder von Mensch zu Mensch ausbreiten, werden immer wieder ausbrechen. Sie sind ein Symptom, dass wir in einer Klemme stecken, die die Weiterexistenz unseres Ökosystems gefährden kann (Wallace 2020)

Viele Kritiker der Keimtheorie gelten als Vorläufer einer Erkenntnis, die später zur Salutogenese (Antonovski) erweitert wurde. Wir können heute erkennen, dass Lebewesen aus komplexen Systemen bestehen, und in übergeordneten Systemen eingebettet sind. Krankheit kann deshalb als Störung von Wechselwirkungen, Kommunikationen und Beziehungen aufgefasst werden.

Deshalb wäre es sinnvoll, sein Leben und die Lebensverhältnisse so gestalten, dass man die Produkte und Dienstleistungen der Schamanen, der Kräuterapotheken und der modernen Formen der Medizin nicht benötigt.

Mehr

Literatur

Anhang: Widerspenstige Andersdenker im 19. Jh.

Rudolf Virchow

Max von Pettenkofer

Max von Pettenkofer wurde 1847 zum Professor für Chemie in München berufen. Er beobachtete, dass Infektionserkrankungen wie Cholera und Typhus in Stadtteilen mit feucht-moderigem Boden entstanden. Also in Elendsquartieren, in denen Abwasser und Fäkalien nicht abfließen konnten, und so die Trinkwasserversorgung gefährdeten. Mit großer Zähigkeit gelang es ihm, die Politik in München für den Bau einer flächendeckenden Kanalisation zu bewegen. Auf seine Initiative schuf die Universität München den Lehrstuhl Hygiene und berief ihn dafür als ersten Professor. Unter seiner Leitung zählte München dann bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu den saubersten Städten Europas.

Als Robert Koch 1884 den Cholera-Erreger isolierte, blieb Pettenkofer skeptisch. Er glaubt nicht, dass dieser Keim die alleinige Ursache von Epidemien sei. Auch bei der großen Cholera-Epidemie 1892 in Hamburg, die der Keimtheorie zum endgültigen Durchbruch verhalf, zweifelte Pettenkofer an Kochs Theorie. Denn sie erklärte für Pettenkofer nicht schlüssig, warum nur bestimmte Stadtteile stark betroffen waren. Er vermutete vielmehr, dass Krankheiten durch komplexe Wirkungs-Zusammenhänge hervorgerufen würden. Die Gefährlichkeit von Keimen könne sich, seiner Meinung nach, durch Umweltbedingungen verändern. Und die Zufuhr bösartiger Keime allein müsse bei körperlich gesunden Menschen nicht zwangsläufig zur Erkrankung führen. Also entschloss er sich zu einem Selbstversuch, und trank 1892 (im Alter von 74 Jahren) eine „Bouillon“ des Choleraerregers, der ihm aus Hamburg zugeschickt worden war. Anschließend beschrieb er akribisch seine körperlichen Reaktionen: den geringen Durchfall und das Unwohl, das ihn nicht daran hinderte, sein tägliches Viertel Rotwein zu genießen. Er fühlte sich darin bestätigt, dass die Krankheitserreger im Prinzip zunächst relativ harmlos seien. Im Rahmen von Umweltverschmutzung mit Fäkalien etc., führten sie aber zu etwas Bösartigem, das durch Gär- und Fäulnis-Prozesse Giftstoffe (Miasmen) erzeuge, die bei körperlich geschwächten Personen zu den Krankheiten führten.

Seine Miasma-These wurde von den modernen Keimtheoretikern verlacht. Hinsichtlich der Cholera behielt er allerdings (in wesentlichen Aspekten) Recht. Er unterschätzte zwar die Bedeutung des Lebensraums der Cholera-Bakterien im Wasser, aber der von ihm vermutete Zusammenhang der Entstehung der Cholera-Krankheit war korrekt (Morabia 2007).

Cholera-Bakterien sind ursprünglich normale Bestandteile gesunder Ökosysteme im Brackwasser tropischer Küstenregionen. Sie leben dort in kleinen Krebsen und sind hervorragend an diesen Wirt angepasst. Die Verwandlung in einen Infektionserreger vollzieht sich bei ihnen durch Veränderungen des Säuregehaltes des Wassers und seiner Anreicherung mit Fäkalien und Schmutzteilchen. Werden leicht veränderte Bakterien dieser Art geschluckt, überleben nur die, die in der Lage sind, eine Schleimschicht um ihren Bakterienverband herum zu erzeugen. Werden diese „hyper-infektiösen“ Schleimverbände wieder mit Trinkwasser aufgenommen, eröffnet sich den inzwischen sehr untypischen Bakterien die Chance einer neuen ökologischen Nische, indem sie sich an die Darmwände anheften und so starke Durchfälle erzeugen. Aber auch die harmloseren (nicht-schleimbildenden Varianten) der Cholerabakterien haben eine evolutionäre Chance, wenn kein Abwasser getrunken wird. Sie können sie sich der Wirtsflora anpassen und sind dann unauffällige Teile der Darmflora kerngesunder Menschen.

Die Bekämpfungsstrategien der Keimtheorie gegen Cholera (Trinkwasserbrunnen , Antibiotika) allein können daher die immer wieder ausbrechenden Cholera-Epidemien nicht verhindern. Denn die ökologischen und sozialen Zusammenhänge der Cholera-Krankheitsentstehung sind komplex (Reyburn 2011).

Hätte man Pettenkofer am Ende des 19. Jahrhunderts ernst genommen, wäre die Bedeutung der Seuchen-bekämpfung relativiert worden. Man hätte sich stattdessen mehr Gedanken gemacht, wie ökologisch nachhaltiges und menschenwürdiges Leben gefördert werden könnte.

Antoine Béchamp

„Ich bin der Vorgänger von Pasteur, exakt so wie der Bestohlene der Vorläufer eines glücklichen und dreisten Diebes ist, der ihn verhöhnt und beleidigt“ („Je suis le précurseur de Pasteur, exactement comme le volé est le précurseur de la fortune du voleur heureux et insolent qui le nargue et le calomnie“). Brief vom Mai 1900 von Antoine Béchamp (Quelle: Nonclercq 1982)

Der Chemiker Antoine Béchamp entdeckte 1850 (~15 Jahre vor Louis Pasteur) „kleine Körperchen“ außerhalb von Zellen. Er nannte sie Mikrozyma. Damit müsste er, als Entdecker der Keime, eigentlich als Vater der Bakteriologie gelten. Sein jüngerer Chemie-Kollege Pasteur experimentierte damals noch an der These der „Krankheitsentstehung durch Vergärung“ herum. Aber er blieb damit erfolglos. Zunächst hielt er Béchamps Entdeckung lebender Wesen außerhalb der Zellen für Unsinn. Schließlich aber kopierte er die Kleinlebewesen-Idee von Béchamp, und gab sie als seine eigene aus. Béchamp war zwar der etablierte Gelehrte, aber Pasteur hatte die bessere Beziehungen zu den Mächtigen seiner Zeit. Folglich verlief der Plagiat-Streit für den älteren Forscher Béchamp nicht erfolgreich. (Hume 1942, Nonclercq 1982)

Béchamp stellte sich Bakterien als im Organismus und auch in den Zellen lebende Wesen vor. Zellen und die Miniwesen seinen miteinander verwoben und könnten in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten (Pleomorphismus). Ginge es einem Organismus schlecht, würden die Miniwesen außer Kontrolle geraten.

Die „Mikrozymen“ seien also nicht Ursache, sondern Folge eines Krankheitsprozesses. Ginge es dem Organismus gut, lebte sein Ökosystem (mit verschiedenen Beteiligten) friedlich zusammen. Gerieten die Zellen und Organe dagegen in eine Krise, könnten sich die Miniwesen vermehren und sorgten für die weitere Verschlechterung des Krankheitsbildes.

Ähnlich wie Pettenkofers Thesen passten auch die von Béchamp nicht zum damaligen Zeitgeist. Wäre man seinen Vorstellungen gefolgt, hätte man sich intensiver mit der inneren Ökologie von Organismen und Zellen beschäftigen müssen. Es hätten nicht über 100 Jahre verstreichen müssen, bis Biologen erkannten, dass viele seiner Gedanken in eine richtige Richtung wiesen. Hätte man sein Thesen nicht ins Lächerliche gezogen, wäre die Komplexität des Zusammenlebens zwischen Zellen und Mitochondrien und zwischen Körperfunktionen und menschlichem Mikrobiom / Virom früher erforscht worden.

Vermutlich wäre auch die Frage, warum Menschen krank werden (Pathogenese), weniger überbetont worden gegenüber Forschungen, warum Menschen trotz widriger Umstände gesund bleiben (Salutogenese).

Samuel Hahnemann

Der Grundgedanke der Lehre Hahnemanns (die er Homöopathie nannte) ist es, „Gleiches mit Gleichem“ zu heilen (similia similibus curentur). Der theoretische Ansatz ähnelt dem Impfgedanken: den Körper anzuregen, sie selbst zu helfen.

Der wesentliche Unterschied zwischen seiner Theorie und den Bekämpfungsstrategien, die Hahnemann Allöopathie nannte) war der Stellenwert, den er medizinischen Interventionen beimaß. Die Keimtheorie verlangte nach einem wachsenden Waffenarsenal, um immer neue lebende Gegner spezifisch abzuwehren oder zu vernichteten werden können.

Hahnemann reduzierte dagegen (ohne dass es ihm bewusst war) den spezifischen Effekt seiner Medikamente auf absolut Null. So erzeugte er absolut nebenwirkungsfreie Arzneimittel. Denn wo nichts ist, kann auch nichts schaden. Das war z.B. bei der Cholerabehandlung in der Mitte des 19. Jahrhunderts sehr hilfreich, weil die klassische Medizin die Infektionskrankheit durch Aderlässe (und andere Foltern) verschlimmbesserte, und zusätzlich die Sterblichkeit erhöhte, weil die Betroffenen nichts trinken sollten.

Die spätere Keimtheorie nahm bei der Anwendung ihrer spezifischen Hochleistungswaffen (wie Antibiotika) Kollateralschäden bewusst in Kauf. Die Nachfolger Hahnemanns, die sich dagegen empörten, nutzten (ohne es zu wissen oder gar so zu benennen), den reinen Systemeffekt der Arzt-Patient-Beziehung. Bei der Keimtheorie dagegen war (und ist) die zwischen-menschliche Beziehung weniger wichtig, weil ja die spezifische Chemikalie wirkt.

Vor dem Hintergrund des heutigen systembiologischen Wissens sind beide Ideologien gleichermaßen veraltet und museal.

Letzte Aktualisierung: 30.06.2024