150 Jahre Keim-Theorie
Seit Ende des 19. Jahrhunderts kämpft die Medizin ‚gegen‘ alles Mögliche:
- gegen äußere Angreifer und Hemmnisse,
- gegen Feinde und Bedrohungen
- gegen Viren, Bakterien und Pilze
- gegen Krebszellen, psychische Leiden, Fettsucht oder Verhaltensstörungen
Es beginnt damit, dass das Böse benannt wird. Aus der Vielzahl von Wechselwirkungen aus einer unüberschaubar komplexen Realität wird ein Faktor herausgenommen und zur Ursache allen Übles bestimmt.
Die Idee, dass eine bestimmte Krankheit (zielgerichtet) bekämpft werden muss, ist eine logische Folge, dass ein einziger Faktor für die Störung gesunder Lebensabläufe verantwortlich sei. Zunächst muss der Teufel benannt werden, bevor er ausgetrieben werden kann.
Die Benennung eines Feindes führt zwangsläufig zum Krieg. Und der nutzt der Rüstungsindustrie. Ähnlich ist die Keimtherapie das Lebenselixier der Pharmaunternehmen und der Gerätehersteller. Denn unbegrenztem Tests, denen eine Diagnose folgt (BMJ 2024, BMJ 2023), fördert den Trend zur Medikalisierung aller Lebensprobleme. (The BMJ 2024)
Unvergessen ist mir eine Fallvorstellung eines erlauchten Professors in einem Studierenden-Seminar, der ein unglaublich verworrenes Patientenschicksal schilderte: ein afrikanischer Arbeiter auf Öltankern, gezeichnet von harter Arbeit, ausgezehrt, durch zahlreiche Konflikte gestresst, alkoholabhängig, rauchend, mit Hautausschlägen, leichtem Fieber, Müdigkeit, Verlust von Energie und Antrieb, Raucher-Bronchitis (aber kein Husten) … er ließ uns rätseln: „Giftstoffe auf der Arbeit? tropische Infektionen, sozialer Stress, Suchkrankheit, Syphilis …?“ Und verkündete dann die überraschende Lösung: „Er hat nur Tuberkulose, sonst nichts.“ D. h. jetzt war alles (militärisch) super einfach:
Denn Feind isolieren, mit Pillen beschießen, ausrotten. Kämpfen bis zum Sieg oder bis zum Tod. …