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Wasser wird knapp

Einfache Intervention, komplexe Katastrophe

„Es gibt Dinge, die unmöglich zu wissen sind,
aber es ist unmöglich, diese Dinge zu wissen“ Arthur Bloch

Brunnenbohren gilt als eine besonders erfolgreiche Intervention von „Public Health“.

Kurzfristig war diese Strategie auch sehr erfolgreich, bis Jahrzehnte später Probleme auftauchten, die um ein Vielfaches größer sind als diejenigen, die durch die Interventionen gelöst werden sollten.

Screenshot: Kang-Chun ChengAl Jazeerah (Feature/Health) 28.04.2024: “… Geographical mapping indicates a relationship between CKDu (kidney disease) and agricultural irrigation water sources [in Sri Lanka]. … There is also the high use of tube wells … (A) combination of water sources and pollution, toxins in agrochemicals? .. Those with the means are switching from drinking groundwater to filtered water…“

Lernen aus Fehlern

Um aus gescheiterten Eingriffen in eigen-dynamische Systeme zu lernen, müsste man Komplexität wahrnehmen und verstehen. Lebende Systemprozesse, die durch viele Einflussfaktoren oder auch den Zufall beeinflusst werden, lassen sich nur begrenzt in Zielgeraden und Planungszyklen festschreiben.

Eine eindeutige Beschreibung von Kausalzusammenhängen zwischen Ursachen und Wirkungen führt in komplexen Systemen in die Irre, da lebende Beziehungsgeflechte durch Zufälle und noch unbekannte Zusammenhänge beeinflusst werden und sich verändern.

Als eine besonders erfolgreiche Intervention von „Public Health“ beruht die Technik des Brunnenbohrens auf einem mindestens 200 Jahre alten Prinzip: dem Ansaugen von Wasser in einem dünnen Rohr. Bis in die 1950er-Jahre wurden handbetriebene Rohrpumpen auch in Industrieländern benutzt, vorwiegend zur Trinkwasserversorgung von Haushalten im ländlichen Raum. Zunehmend ging man dort aber dazu über, Trinkwasser nur noch aus wenigen kontrollierten, sicheren Tiefbohrungen zu beziehen und die Bevölkerung von dort durch Leitungssysteme zu versorgen.

In Weltregionen, die man früher Kolonien, Dritte Welt, Unterentwickelte- oder Entwicklungs-Länder nannte, wurden aber in international finanzierten Projekten weiterhin die Schwengel-Pumpen zur Wasserversorgung bevorzugt.

Denn Handpumpen können schnell, unkompliziert und preiswert angelegt werden. Da das Wasser bei Schwengelpumpen geringer Bohrtiefe Infektionserreger übertragen kann, wurde so tief gebohrt, wie man mit einer Handpumpe Wasser eben noch heben konnte (1). Bei 50 bis 80 Metern Bohrtiefe erhielt man so kristallklares und keimfreies Wasser.

Typische Schwengelpumpe, Tansania, Foto: Helmut Jäger, 2024

In den Programmen, die sich die Behörden „im Norden“ ausdachten, setzte man für die Menschen „im Süden“ auf die Verbesserung einer einfachen Technik, die in industrialisierten Ländern längst verlassen wurde. Denn „schnell und billig“ war ökonomisch deutlich interessanter als „langfristig und nachhaltig“.

Die Anlage der durch eine Betonplatte gesicherten Hand-Pumpanlage galt für alle Beteiligten als unmittelbar sichtbarer Erfolg. Und auch die Belastung von Frauen konnte vermindert werden. Denn sie mussten nicht mehr, wie vorher, Wasser aus einem weit entfernten Fluss mühsam auf dem Kopf nach Hause balancieren.

Die bisherigen traditionellen, Schilf-bewachsenen Regenwassersammelteiche zur Trinkwasserversorgung mussten nicht mehr wie tausende Jahre zuvor aufwendig gepflegt werden. Man konnte jetzt scheinbar nützlicheres mit ihnen anfangen: Fische darin mästen und züchten, sie trocken legen oder als Müllgrube verwenden (2).

Mit reichlich verfügbarem Wasser und mit der Lieferung von Kunstdünger und Pestiziden starteten weltweit „grüne Revolutionen“. So glaubte man, nicht nur die Durchfallerkrankungen, sondern auch die Hungersnöte erfolgreich bekämpft zu haben.

In Wüsten- oder Steppenregionen, durch die früher die Nomaden vorbeizogen, konnten jetzt immer mehr Menschen siedeln, ihre Hütten errichten oder auch Beton verbauen. Damit entwickelte sich zwar eine Abwasserproblematik, die aber durch das Graben von Latrinen oder durch Ableitungen nach „an eine beliebige Stelle“ beherrschbar zu sein schien.

Folglich waren Geldgeber und Zielgruppen gleichermaßen begeistert von diesen kleinen Interventionen in scheinbar stabile geologische Zusammenhänge. Erst viele Jahrzehnte später bemerkte man dann völlig überrascht, dass sich die Zusammenhänge als komplex und eigen-dynamisch erwiesen.

Die für die Bevölkerungsgesundheit verantwortlichen Public-Health-Ärzte verhielten sich so wie ihre klinisch tätigen Kollegen: Sie schauten auf kurzfristige Heilungsergebnisse bei den „anderen“, den „Behandelten“. Sie überbewerten dabei die Möglichkeiten technischer Eingriffe, die sie bei sich selbst nicht anwendeten. Ökologische, soziale, kulturelle und geologische Zusammenhänge und Wechselwirkungen hatten für sie meist keine Bedeutung (3).

So wurde beim Brunnenbohren verdrängt, dass sich mit der Zeit sowohl die Installation, als auch ihre Umgebung veränderten, wenn auch sehr, sehr langsam.

Vollständiger Artikel

Beispiel Bangladesch. Gesundheitliche Folgen. Irren ist menschlich – Lernen auch. Literatur und Links

Pumpen für alle?

English Version: Pumps for all?

Letzte Aktualisierung: 06.06.2024